Andres Bejas

Andres E. Bejas OP  - Edith Stein als Philosophin

LeidenschaftlicheSuche nach der Wahrheit

Edith Stein als Philosophin

Wenn man das Wort „Philosophie" hört oder jemand als „Philosoph" bezeichnet wird, dann verbindet man damit beinahe unwillkürlich komplizierte und oft unverständliche Gedankengänge und Menschen, Frauen und Männer, einer Welt, die aus Theorien und abstrakten Prinzipien gezimmert ist, die aber nur allzu wenig mit den Ereignissen des alltäglichen Lebens zu tun hat.

Die Philosophen und die Philosophie selbst gehen jedoch mit dieser bedauerlicherweise allgemein verbreiteten Meinung nicht in eins. Gewiss, die Philosophie ist eine Wissenschaft und als solche nicht unmittelbar zugänglich; sie ist aber darüber hinaus auch eine Leidenschaft, die eben nicht nur den Verstand, sondern auch das Herz des Menschen erfasst, um ihn auf die ständige Suche nach der Wahrheit zu schicken. Genau hier liegt das Entscheidende aller Philosophie und jedes Philosophen: in der sehnsüchtigen und unersättlichen Suche nach der Wahrheit.

In eben diesem Sinne war auch Edith Stein eine Philosophin und zwar eine großartige Philosophin. Die leidenschaftliche Suche nach der Wahrheit prägte ihr ganzes Leben, und die bedingungslose Hingabe an diese Wahrheit gab ihr Sinn und Inhalt. Wenn jeder Mensch im Strom der Weltgeschichte seine je eigene Geschichte lebt, so müssen wir von der Geschichte Edith Steins sagen, dass sie seit ihrer Jugend aufs engste mit der Philosophie, sowohl als Wissenschaft wie auch als Leidenschaft, verbunden war. Ihre ersten wissenschaftlichen Gehversuche im Bereich der Germanistik, Geschichte und Psychologie an der Breslauer Universität sollten zugunsten der Philosophie nach knapp vier Semestern enden. Tief enttäuscht von der damals vertretenen „seelenlosen Psychologie" entdeckte sie in den „Logischen Untersuchungen", (ein Bahn brechendes Werk des Philosophen Edmund Husserl, des Begründers der wichtigen philosophischen Bewegung der Phänomenologie zu Anfang des Jahrhunderts) die Genauigkeit des Denkens, nach der sie sich seit Beginn ihres Studiums so sehr gesehnt hatte. Edith Stein begann derart in die philosophische Schule der Phänomenologen hineinzuwachsen, dass sich der Einfluss ihres Lehrers und „Meisters" Edmund Husserl in allen ihren Werken zeitlebens deutlich bemerkbar machen sollte.

Zu Beginn des XX. Jahrhunderts versuchte die Phänomenologie, neue philosophische Richtungen einzuschlagen. Die damalige Schulphilosophie war von einem neu geborenen Kantianismus geprägt, welche sich zu eine immer radikaler subjektiv orientierten philosophischen Strömung entwickelte. Das „Ich" (dasSubjekt) erstellte die Kategorien der Wirklichkeit und galt somit als ihr Grund und Maßstab. Dem zufolge verliert die Wirklichkeit den Charakter einer objektiven Gegebenheit, und es ist nicht mehr möglich, sie unabhängig vom Subjekt zu betrachten.

Edmund Husserl trat mit seinem phänomenologischen Ansatz diesem Neukantianismus entgegen, indem er einen ebenso revolutionär wie konservativen Schritt wagte, nämlich der Wirklichkeit eine neue Autonomie zuzusprechen, um sie als solche zu erkennen. Als sein „Motto" verkündete er eine Rückkehr zu den Dingen. Jegliche philosophischen und überhaupt wissenschaftlichen Vorurteile wurden abgelehnt, und die Philosophie wandte sich direkt an die Wirklichkeit selbst und zwar so wie sie ist und wie sie sich uns zeigt: als Phänomen (daher der Name Phänomenologie). Diese „naive" und vorurteilslose Zuwendung zu den Phänomenen beinhaltete eine absolute Anerkennung der Bewusstseinsunabhängigkeit der äußeren Realität uns berührte damit nicht nur die Philosophie, sondern auch zahlreiche Fragestellungen der Theologie. So sollte Gott zum Beispiel nicht mehr als ein „Postulat" (Kant) gedacht werden, sondern als die objektive Möglichkeit der Transzendenz. Folgerichtig wurde auch die Möglichkeit des Glaubens angesprochen, und zwar als vorurteilsfreie Annahme von außersubjektiven Phänomenen, die vom Bewusstsein nicht kategorial erfasst werden können. Diese Offenheit zum Glauben war ein Merkmal der Phänomenologie und Husserl sagte manchmal scherzhaft, er solle von der Katholischen Kirche heilig gesprochen werden, weil so viele seiner Schüler durch die phänomenologische Methode einen Weg zum Glauben gefunden hätten.  

Edith Stein entwickelte ihre philosophische Begabung bis hin zur Meisterschaft in der Anwendung der phänomenologischen Methode. Schon ihre Doktorarbeit „Zum Problem der Einfühlung" ist ein deutlicher Beweis dafür, wie exzellent sie mit der Methode Husserls umzugehen verstand. In dieser Arbeit untersucht sie das Wesen der Einfühlungsakte und die innere Konstitution des psychophysischen Individuums. Mit der Einfühlung bezeichnet die Sprache der Philosophie das Bemühen des Menschen, das Erleben anderer Menschen zu erfassen. Zu diesem Vorgang gehören wesenhaft das eigene Ich (das Subjekt) und das fremde Du (das Objekt), und beide werden miteinander durch eine Gefühlsgemeinschaft verbunden. Im Anschluss an die ausführliche Behandlung dieses Themas bearbeitete Edith Stein auch andere Fragestellungen anhand der phänomenologischen Methode, wovon drei wichtige Arbeiten zu nennen sind, die sie für das „Jahrbuch für Philosophie und phänomenologische Forschung" verfasste. Zunächst die beiden „Beiträge zur philosophischen Begründung der Psychologie und der Geisteswissenschaften" „Psychische Kausalität" und „Individuum und Gemeinschaft", an die sich als dritte Abhandlung die sozial-philosophische Auslegung der vorher behandelten Prinzipien unter dem Titel „Eine Untersuchung über den Staat" anschloss.

Media/Downloads